Der Fotograf Danny Franzreb führt im Stadthaus Ulm durch seine Ausstellung „Proof of Work“
Die Ausstellung „Proof of Work“ öffnet die Tür zu einem Raum, in dem sich bislang nicht besonders viele Menschen tummeln. Wer sich dort befindet, zählt zu den Eingeweihten, spricht eine Geheimsprache, die auf Außenstehende kryptisch wirkt. Kryptisch sind auch die Währungen, mit denen in dieser (un)heimlichen Sphäre bezahlt wird, Bitcoins zum Beispiel. Wer sich also wie ich als Laiin in die Ausstellungsräume des Ulmer Stadthauses begibt, wird mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die es zwar unbestritten gibt, die jedoch bislang kaum fassbar war, dem Irrealen scheinbar näher als dem Realen. Der Eindruck, dass es sich hier um einen dubiosen Raum für Nerds handelt, rührt zum einen daher, dass eine Sprache gesprochen wird, die nicht ohne Weiters zu verstehen ist. Aber auch die Unbegreifbarkeit der immensen Datenströme sowie die Abgeschiedenheit der Orte, an denen gearbeitet wird, befeuern das Image des Mysteriösen. Wird hier überhaupt gearbeitet? Mit genau dieser Frage spielt der Titel der Ausstellung. Für Outsider klingt er nach Rechtfertigung, so als müsse der Öffentlichkeit einmal gezeigt werden, dass wirklich etwas passiert, dass tatsächlich Arbeit verrichtet wird. Doch um den Arbeitsnachweis einer irgendwo im Nirgendwo agierenden Community geht es nicht vornehmlich, vielmehr handelt es sich bei dem Terminus „Proof of Work“ um einen (anscheinend emotional aufgeladenen) Fachbegriff aus der Bitcoin-Szene, auf dessen Definition ich als Außenstehende an dieser Stelle besser verzichte – es könnte peinlich werden. Jedenfalls suggerieren die Bilder, dass die Hauptarbeit von Maschinen verrichtet wird, die in kolonnenartiger Formation nebeneinanderstehen. Sie sind es, die Lärm und Hitze erzeugen – Zeichen der harten Arbeit, die sie vollbringen.
Der Impulsgeber für meinen Ausstellungsbesuch war im Übrigen ein Schulfreund, der im Reich der Bitcoins aktiv ist. Er erzählte mir, dass er für die regionale Bitcoin-Community eine Führung mit dem Fotografen und Designprofessor Danny Franzreb durch dessen aktuelle Ausstellung organisiert habe, und fragte mich, ob ich nicht mitkommen wolle. Kurzerhand sagte ich zu und mischte mich an einem regnerischen, sehr windigen, vorweihnachtlichen Donnerstag zum ersten Mal unter einige Eingeweihte, aus denen, wie der anregende Abend zeigen sollte, Kryptowissen nur so heraussprudelte.
Gleich zu Beginn der Führung erzählte Franzreb, dass er selbst eine hohe Affinität zur Welt der Kryptowährungen habe und sich bereits seit längerem damit auseinandersetze. Mit der Zeit habe sich der Wunsch entwickelt, die Welt der Blockchains höchstpersönlich zu erkunden, konkrete Formen für das abstrakte Wissen zu finden und dieses nebulöse Phänomen in visuelle Strukturen zu gießen. Im Jahr 2021 machte er sich dann auf, um ebenjene schwer zu fassende Sphäre mithilfe seines Fotoapparats einzufangen. Die Reise führte ihn durch Deutschland, in die Niederlande, nach Österreich, Russland und Schweden. Er richtete seine Kameralinse unter anderem auf Krypto-Minen, einen Bitcoin-Automaten, Kühlaggregate, Grafikkarten, Satellitenschüsseln, Kabelgewirr, eine goldschimmernde Münze und ein Gewächshaus.
Menschen sind auf den Fotos nur vereinzelt zu sehen: Bastler, Miner, Investoren. Sie alle tragen den Krypto-Kosmos. Sie alle suchen das Abenteuer in der Weite des digitalen Raumes. Sie alle sind männlich. Das heißt natürlich nicht, dass sich überhaupt keine Frauen im Kryptoraum bewegen, doch die Message ist klar: Dieser Raum wird von Männern dominiert. Doch Halt! Eine Frau hat es auf ein Bild geschafft. Sie verfolgt allerdings eine andere Mission als ihre männlichen Kollegen. Ihr geht es um Nachhaltigkeit, nicht um das möglichst schnelle Lösen von Rechenaufgaben oder das Investieren in eine spekulative Geldanlage. Als Gründerin eines Start-ups für Vertical Farming bezieht sie die Energie für ihr grünes Business aus einer benachbarten Krypto-Mine.
Die chronologische Hängung der Bilder macht außerdem deutlich, wie sehr sich die Kryptowelt weiterentwickelt hat. Die Ausstellung erzählt also auch die Geschichte einer zunehmenden Professionalisierung. Am Anfang stehen technische Konstruktionen von Tüftlern, die auf den Bildern skulptural wirken und dadurch ästhetische Strahlkraft gewinnen. Es folgen Fotos von riesigen Krypto-Minen in alten Industrieanlagen. Abgeschlossen wird die Erzählung durch Aufnahmen zukunftsweisender Projekte, die im Zeichen des nachhaltigen Wirtschaftens stehen.
Wohin der Fotograf seine Kamera auch richtet, stets ist er darauf bedacht, Facetten und Ausschnitte zu zeigen, welche die Kryptowelt für Outsider wie Insider fassbar machen. Selbst eingefleischte Kryptoexperten bekommen die Räume, die Franzreb besucht, ablichtet und für ein breites Publikum zugänglich macht, in aller Regel nicht zu Gesicht. Aus den in der Ausstellung gezeigten Bildern spricht eine Ruhe, die den Gegenpol bildet zu diesem so turbulenten Metier, dem ständigen Auf und Ab des zirkulierenden Wertes und den rasant fließenden Datenströmen. In ihrer statischen Präsenz gewinnen die Konstellationen aus Technik, Natur, Gebäuden und Menschen ästhetischen Reiz. Ferner, und das ist sicherlich zentral, wertet Franzreb mit seinen Fotografien nicht. Seine Bilder sind allein als ästhetische Dokumente zu betrachten. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als das Ansichtigwerden, sprich die Greifbarmachung einer bislang konkret kaum erkundeten Sphäre, um die Überführung eines fluiden, abseitigen Kosmos in visuelle Ordnungen, um Strukturen, die das Verschwommene, Fließende und sich stets Verändernde fixieren.
Was hat nun aber die Ausstellung mit Metallurgie zu tun und warum können die Protagonist*innen des Kryptouniversums als New Metallurgists bezeichnet werden? Landläufig versteht man unter Metallurgie all jene Verfahren, mit denen Metalle aus Erzen gewonnen werden. Darüber hinaus bezieht sich der Begriff auf das Studium der Eigenschaften von Metallen und Legierungen sowie deren Herstellung und Verarbeitung. Nun gräbt man im Land der Kryptowährungen natürlich nicht in der Erde, um brauchbare Metalle aufzuspüren. Hier jubelt man nicht über eine aufgespürte Goldader oder freut sich über ein gefundenes Nugget, wiewohl es Bitcoin-Münzen aus Edelmetallen gibt. Ein Exemplar ist in der Ausstellung „Proof of Work“ in Großaufnahme zu sehen. Sie symbolisieret die digital erzeugte Währung, sie ist das handfeste Zeichen einer Gemeinde, die nach finanzieller Unabhängigkeit und einem monetären Abenteuer jenseits des Wirkungsbereichs von Notenbanken strebt. Ob die Zukunft der Kryptowährungen so glänzend ist wie die abgebildete Münze, bleibt abzuwarten. Die Hoffnungen sind zumindest groß – zu erkennen etwa an den beständig wachsenden Kryptominen, in denen immer größere Datenmengen immer schneller pulsieren. An dieser Stelle sind zwei zentrale Punkte angesprochen, welche die Kryptowelt mit dem Reich der Metalle verbindet. Erstens werden die Räume, in denen digitales Geld gesucht wird, als Minen bezeichnet. In ihnen arbeiten sogenannte Miner, die Kryptowährungen ‚schürfen‘. Sie sind es, die neue Bitcoins in Umlauf bringen. Bei Kryptominern handelt es sich demnach nicht um Minenarbeiter im herkömmlichen Sinne, sondern um New Metallurgists, deren Arbeitsplatz nicht Erzbergwerke sind, sondern Räume, vollgestopft mit moderner Technik, wie Franzrebs Fotos eindrucksvoll demonstrieren. Sie haben das Fließen des Datenstroms im Blick, den sie beständig am Laufen halten und nach Möglichkeit vergrößern und beschleunigen. Auch Metall und Metallurgie sind, darauf machen die beiden Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari aufmerksam, zutiefst mit dem Gedanken des Fließens verbunden. In ihrem Werk Tausend Plateaus (1980) halten sie fest, dass die Metallurgie das Bewusstsein oder Denken des Materiestroms sei. Das Metall wiederum begreifen sie als Korrelat ebendieses Bewusstseins.
Eine weitere Verbindung zwischen Kryptowelt und Metall verbirgt sich in der Ausstellung überall dort, wo Fotos einer russischen Kryptomine hängen, die sich in einer alten Aluminiumfabrik befindet. Aluminium ist zwar das häufigste Metall in der Erdkruste, kommt darin aber stets gebunden vor. 1827 gelang es Friedrich Wöhler (1800-1882) erstmals kleine Aluminiumflitter herzustellen. Neun Jahre später konnte er etwas größere Teilchen präsentieren. Das war jedoch ein Ereignis, welches ausschließlich in wissenschaftlichen Kreisen Beachtung fand. Der Erste, der reines Aluminium in kleiner Menge herstellte, war Henri Étienne Sainte-Claire Deville (1818-1881). Als Napoleon III. zu Ohren kam, dass es einem französischen Chemiker gelungen war, aus Lehm ein silbrig schimmerndes Metall zu gewinnen, welches leicht und fest zugleich war, versetzte das den Kaiser in Begeisterung. Schon träumte er von leichten Brustpanzern für seine Kavallerie und scheute keine Kosten, um die Herstellung des begehrten Metalls vom Versuchslabor in eine Fabrikhalle zu überführen. Da die Ausbeute zu Beginn sehr gering war, konkurrierte Aluminium preislich zunächst mit Gold. Was Deville damals fehlte, um Aluminium in großer und damit industriell bedeutsamer Menge herstellen zu können, war ausreichend Strom. Dieser stand erst dann zur Verfügung als Werner Siemens (1816-1892) die Dynamomaschine erfand. Zu den Aluminium-Metallurgen zählt auch Alfred Wilm (1869-1937), der zufällig eine magnesiumhaltige Aluminiumlegierung entdeckte, die später als Duraluminium den Markt eroberte. Schon kurz nach diesem Fund erhoben sich die ersten daraus konstruierten Luftschiffe in den Himmel. Im Aluminium verbinden sich demnach der Traum von Macht, Reichtum und technischem Fortschritt sowie ein Herstellungsprozess, der ungeheuer energieintensiv ist. Gleiches gilt auch für Kryprowährungen. Miner*innen und Investor*innen hoffen auf den großen Gewinn, arbeiten an der Beschleunigung des Systems und der Erweiterung ihres Wirkungsradius. Gleichzeitig steht die Kryptowelt aufgrund ihres riesigen Energieverbrauchs unter Beschuss. Von all diesen unterschiedlichen Aspekten erzählt auch „Proof of Work“. Die Ausstellung deckt damit auf, was sich hinter dem Kryptophänomen verbirgt.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass einige Bilder von Franzreb derzeit nicht nur im Stadthaus Ulm zu sehen sind, sondern gleichfalls im Museum der Arbeit in Hamburg. Dort läuft gerade die Ausstellung „Man & Mining“. Franzrebs Fotos stehen dort im Dialog mit Bildern von Sebastião Salgado. Dessen Schwarzweißaufnahmen gehören zu den Klassikern der dokumentarischen Fotografie. Nicht zuletzt offenbart diese Kontextualisierung, dass in der Arbeit Franzrebs Anschlüsse angelegt sind, die in ihrer historischen Bedeutsamkeit über den Kryptokosmos hinausweisen.